BBZ Pfäffikon


Alles zur Zeit

Alles zur Zeit – wir nahmen uns Zeit …

… für ein interaktives Austauschprojekt zwischen Lernenden des Integrativen Brückenangebots (IBA G1) und der Berufsmaturität (BM C).

Der Ausstellungsbesuch im Vögele Kulturzentrum zum Thema „Alles zur Zeit – über den Takt, der unser Leben bestimmt“ war die Input-Veranstaltung zu unserem Projekt. Die beiden Klassen besuchten die Ausstellung getrennt mit uns Klassenlehrerinnen. Wir initiierten nur eine erste kurze Begegnung, bei der sich die beiden Klassen gegenüberstanden und sich zum ersten Mal sahen.

Gefühlte Zeit – gemessene Zeit
Das war das erste Experiment zum Thema Zeit. Eine Woche später, bei unserem ersten gemeinsamen Nachmittag, fragten wir die Lernenden, wie lange diese kurze Begegnung wohl gedauert hat. Sie schätzten: 2 Minuten, 30 Sekunden, 1 Minute. Die Begegnung hatte sich wohl länger angefühlt, als sie war - sie dauerte lediglich 14 Sekunden.
Das nächste Zeit-Experiment an diesem Nachmittag geht auf den US-Psychologen Arthur Aron zurück. Er stellte vor rund 20 Jahren die Behauptung auf, wenn sich zwei Menschen ohne Worte vier Minuten in die Augen schauen, kommen sie sich näher. Diese Technik wandte vor einem Jahr Amnesty International an und startete ein Videoexperiment mit dem Ziel, Vorurteile zwischen Flüchtlingen und Europäern abzubauen. Zu diesem Zweck trafen sich rund 12 Menschen unterschiedlichster Altersklassen und Herkunft. Es ist erstaunlich, welche Emotionen diese vier Minuten bei den Beteiligten auslösten.
Wir haben das Experiment etwas gekürzt und forderten die Lernenden auf, sich zwei Minuten wortlos in die Augen zu schauen. Und es war definitiv ein „Eisbrecher“. Nach diesen zwei Minuten reichten sich die Lernenden die Hände, lachten, stellten sich vor, tauschten sich aus und begannen rege zu erzählen, wie sie die zwei Minuten erlebt haben.

Kurzberichte der BM-Lernenden
Über ihre Eindrücke und den weiteren Austausch an diesem ersten Nachmittag haben die BM-Lernenden kleine Berichte geschrieben. Es folgen ein paar Auszüge daraus:

„Später haben wir in Gruppen die uns zugeteilten Fragen miteinander besprochen. Es waren Fragen über unsere Freizeit, übers Zeitverbringen und über unsere Vergangenheit. … Bei den IBA-Lernenden waren Themen zur Vergangenheit sehr traurig, weil viele aus ihrem Heimatland flüchten mussten und daher auch von ihren Familien und Freunden getrennt sind. Die meisten vermissen ihre Grosseltern, Tanten, usw. sehr, welche immer noch in diesem Land wohnen. Sie zu besuchen ist für die Lernenden praktisch unmöglich, da es die Verhältnisse in den Gegenden nicht zulassen (Krieg, politische Verfolgungen, usw.). Auf diese Weise lernten wir, was es heisst, ein Flüchtling zu sein und können ihre schwierigen Situationen gut nachvollziehen. Das Treffen war für uns sehr spannend und wir haben zusammen viel voneinander gelernt. Nun freuen wir uns auf die nächste Zusammenarbeit.“

„Zuerst tauschten wir uns über die vergangene Zeit aus, vor allem über die unterschiedliche Herkunft und die Kindheit. Sehr schnell kamen wir auf die Zukunftspläne zu sprechen. Die Vorstellungen von der kommenden Zeit waren zwischen uns sehr verschieden. Während wir bereits ans Studium, an den späteren Beruf, allgemein an die nächsten 10 Jahre denken, setzen sie ihre Prioritäten viel näher an die Gegenwart, wie zum Beispiel zuerst einmal richtig Deutsch zu lernen und sich in der Schweiz zu integrieren.“

„Bei Fragen über die Wahrnehmung der Zeit in diversen Situationen waren die Antworten oft sehr ähnlich. Es zeigt, junge Leute - unabhängig von ihrer Herkunft - fassen die Zeitdauer, wie zum Beispiel in der Schule, vor dem Fernseher oder an einem Sommertag am See mit Freunden, gleich auf. In unseren Augen war das Projekt ein voller Erfolg, da es für uns sehr spannend war, die Ansichten der IBA-Lernenden zu erfahren.“

„Das Thema Zeit gab uns viel Diskussionsmaterial, da es sehr breit interpretierbar ist und auch Abschweifungen zulässt. Uns wurde klar, wie wenig wir uns in einigen Aspekten unterscheiden und wie identisch gewisse Gedanken sind. Wir möchten uns bei dieser Gelegenheit herzlich bei der IBA-Klasse für ihre Offenheit und Ehrlichkeit bedanken.“

„Es war definitiv eine Bereicherung für uns, die IBA Lernenden und ihre Biografien kennenzulernen. Wir haben die Erfahrung genossen und probieren zukünftig Menschen, welche mit unserer Sprache zu kämpfen haben, zu unterstützen.“

„Bei einem Experiment hatten wir 2 x 15 Minuten Zeit, uns vorzustellen. Dabei konnten wir feststellen, dass die Zeit sehr schnell vorbeigehen kann. Es ist schade, dass man nur einen kleinen Einblick in eine grosse Lebensgeschichte erhält. Wir, welche in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, werden uns trotz all unseren Bemühungen wohl nie gänzlich in die Situation eines Flüchtlings einfühlen können.“

„Im Gespräch mit den IBA-Lernenden konnte man feststellen, dass sie viele verschiedene Interessen und Gefühle hinter ihrer Fassade verbergen. Würden wir ihnen auf der Strasse begegnen, so würden wir kaum eine Unterhaltung mit ihnen beginnen. Es ist uns bewusst geworden, dass es aber genau solche Menschen sind, welche bewegende und erschütternde Geschichten und Erlebnisse zu erzählen haben. Es ist vor allem traurig zu hören, wie viele von ihnen getrennt von Eltern und Geschwistern hier leben. Sie wirken trotz allem motiviert und sind sehr dankbar für die Chance, hier ein neues Leben aufbauen zu können. Mit diesen Gedanken im Kopf sind wir sehr froh, an diesem tollen Projekt teilhaben zu dürfen. Dies hat uns einen ganz anderen Blickwinkel beschert und uns gezeigt, was es heisst, allein in einem fremden Land zu sein.“

Vera Meier und Yve Schmid